Der fmc-Projektclub präsentiert mit seinem Kooperationspartner NFP74 (Nationales Forschungsprogramm «Smarter Health Care») in dieser Webinar-Reihe innovative Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung. Ziel ist der Transfer von Erkenntnissen und Erfahrungen zur Verbesserung der Versorgung.
- Dr. med. Alexander Kutz, Oberarzt mbF, Kantonsspital Aarau
- Dr. Kathrin Behrens, Fachärztin für Chirurgie, Leiterin Zentrales Patientenmanagement, Kantonsspital St. Gallen
Nationales Forschungsprojekt zu mehr integrierter Versorgung
Projektleiterin Manuela Oetterli stellte das NFP74 zu Beginn kurz vor. Es wurde im Auftrag des Bundesrates vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung der Schweiz von 2017 bis 2022 durchgeführt. NFP74 fokussiert auf Prävention und Behandlung multimorbider Patient:innen. Die Forschung betrifft die drei Bereiche stationäre, ambulante sowie post-spitale Versorgung zuhause. Strategisch stehen drei Faktoren im Zentrum: evidenzbasierte Grundlagen, der Aufbau einer starken Forschungsgemeinschaft und die Optimierung von Gesundheitsdaten. Die In-HospiTOOL-Studie (Projekt 18 von NFP74) zeigt auf, wie durch eine systematische, interprofessionelle Austrittsplanung die Dauer des Spitalaufenthalts verkürzt werden kann.
Sportliche Rahmenbedingungen
Projektleiter Alexander Kutz, Oberarzt am Kantonspital Aarau, skizzierte zunächst die Rahmenbedingungen unserer Spitallandschaft: Kostendruck, Fachkräftemangel, Digitalisierung und Demografie bildeten ein dynamisches, herausforderndes Setting im Schweizer Gesundheitswesen, das mit $7179 pro Kopf weltweit zu den teuersten gehört.
Wie sicher ist eine Verkürzung der Liegedauer?
HospiTOOL entstand aus dem Wunsch, mit einem elektronischen Tool zur Eintritts-Austrittsplanung die Dauer des Spitalaufenthalts sowie der Wiedereintritte zu reduzieren. Die Studienfrage, so Kutz, lautete dabei: Wie effektiv und sicher ist ein solches Planungsziel? In sieben Zentren (Kantone AG 4, BS 1, TG 1 und BE 1) wurden zwei Jahre lang über 27000 Notfall-Spitalaufenthalte erfasst und mit HospiTOOL-Interventionen begleitet. Die Vergleichsgruppe bestand aus 430.000 Hospitalisierungen, deren Daten das BAG zur Verfügung gestellt hatte. Die Studienpersonen waren mindesten 18 Jahre alt, multimorbid (mindesten zwei Diagnosen), der Mindestaufenthalt lag bei 24 Stunden.
Ein halber Spitaltag ist kostbar
Das Fazit: Die Liegedauer der mit dem Tool begleiteten Fälle wurde um 0,5 Tage verkürzt, bei gleicher Rate zu Wiedereintritt, Sterblichkeit und Verlegung. Das bedeutet, dass durch die Verkürzung kein Risiko oder gar Schaden entstanden ist. Hochgerechnet auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis konnten auf 27.476 Hospitalisierungen 8243 Spitaltage pro Jahr eingespart werden.
Interprofessionelles Tool
HospiTOOL funktioniert nach dem interprofessionellen Prinzip: Jede Profession (Arzt, Pflege, Sozialdienst) ist von Anfang an involviert. Dies sei der entscheidende Unterschied zur herkömmlichen, linearen Praxis. Der Ressourcenbedarf wird bereits bei der Aufnahme prognostiziert, Verzögerungsfaktoren werden früh identifiziert. Jedes Team hat das Tool jederzeit zur Verfügung und führt Assessments durch. Die Involvierung der Patient:innen sei ein Schlüssel: Ein schlecht informierter Patient bedeute ein höheres Risiko der Wiederkehr, so Dr. Kutz.
HospiTOOL wurde inzwischen vom BAG als «good clinical Practise» eingestuft und wird auch in der Ausbildung eingesetzt.
Fokus auf Multimorbidität
Im Expertengespräch zwischen Dr. Kutz und Dr. Kathrin Behrens vom Kantonspital St. Gallen kamen interessante Aspekte zutage. Dr. Behrens wollte wissen, warum nur Notfall-Aufnahmen in die Studie einflossen. Bei selektivem Eintritt, so die Antwort, sei die Planung grundsätzlich einfacher, weil seltener eine Multimorbidität vorliege. Diese führe häufiger zur klassischen Notfallaufnahme, verbunden mit vielschichtigen Problemstellungen. Nachholbedarf für das HospiTool geben es noch bei der Erfassung von Rehakliniken, dies geschehe noch zu sehr auf analoger Ebene, so Dr. Kutz.
Ob Künstliche Intelligenz (KI) bereits eine Rolle spiele, wollte Dr. Behrens wissen. Dahin, so die Antwort, müsse die Entwicklung gehen. Es sei aber noch keine Lösung implementiert, hier stehe man noch am Anfang. Natürlich gab es auch Fragen zu den Kosten: Ob eine Orientierung nach DRG (Diagnose bezogene Fallgruppen) berücksichtigt sei? Dazu sagte Dr. Kutz, man habe bewusst vom DRG-Denken wegkommen wollen, hin zu stärkerem Fokus auf die Patient:innen. So könne man vor allem die psycho-sozialen Aspekte besser verwerten.
Offen für Inputs aus der Praxis
Das Schweizer Forum für Integrierte Versorgung (fmc) bedankt sich bei den Expert:innen für ihre wertvollen Beiträge.