Duy Nguyen, Medical Data Scientific Specialist aus Lausanne, vertrat das fmc im Oktober 2021 auf einer dreitägigen Studienreise für junge Health Professionals in die Niederlande. Der Bundesverband Managed Care BMC aus Deutschland organisierte die Reise. Hier schildert Duy Nguyen seine Eindrücke. Am meisten beeindruckt war er von der Innovationskraft im niederländischen Gesundheitswesen.
Herr Nguyen, was genau machen Sie beruflich?
Ich bin medizinischer Datenspezialist und arbeite für HCI Solutions AG in Bern. HCI Solution entwickelt und pflegt Software für Spitäler und Apotheken. Ich bin aber auch studierter Apotheker und nebenberuflich etwa einen Tag in der Woche in einer Freiburger Apotheke tätig.
Das ist eine ungewöhnliche berufliche Qualifikation
Vielleicht schon. Ich habe dadurch einen guten Einblick ins Gesundheitssystem und mit den Anwendern zu tun. Ich weiss zum Beispiel, was ein Apotheker vor Ort macht und welche IT-Bedürfnisse er in seinem Alltag hat und so kann ich dabei unterstützen, seine IT-Tools entwickeln. Das macht mir viel Freude.
Im Oktober vergangenen Jahres reisten Sie für das fmc nach Amsterdam. Was war das Thema der Studienreise?
Es ging um Innovationen im Gesundheitssystem mit Fokus auf Technologie und integrierte Versorgung in der Langzeitpflege.
Ohne jetzt direkt auf diese Begriffe einzugehen: Was hat Sie allgemein am meisten beeindruckt?
Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen dem schweizerischen und dem niederländischen System, aber auch viele Unterschiede. Beeindruckt hat mich vor allem die Innovationkraft im niederländischen Gesundheitssystem. Zu nennen ist die innovative Ausbildung. Schon in der Ausbildung hat man in der Niederlande ein viel breiteres Angebot als wir in der Schweiz. Bei uns werden Medizin, Pharmazie und Pflege isoliert gelehrt. In der Niederlande herrscht von Anfang an ein vernetztes Denken. Dort gibt es die interdisziplinäre Zusammenarbeit bereits im Studium. Dadurch können Studierende aus viel mehr Fächerkombinationen auswählen. Das prägt die gesamte Kultur und die Bereitschaft, Gesundheit, Medizin und soziale Aspekte ganzheitlich zu betrachten.
Was fiel Ihnen noch auf?
Auffällig war auch, wie modern die Infrastruktur in allen Bereichen ist. Man arbeitet dort auf sehr fortschrittlichem Niveau. Generell würde ich sagen, die gesamte Kultur des Gesundheitswesens ist in der Niederlande modern und fortschrittlich. Man spürt: Die sind dort schon ein paar Schritte weiter. Gesundheit wird nicht nur klinisch verstanden, sondern schliesst auch das Sozialwesen mit ein.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir die niederländische Version der Spitex. Während bei uns lediglich klinische Leistungen wie Pflege und Versorgung abgerechnet werden, vergütet man in der Niederlande auch soziale Aspekte wie ein Gespräch beim Kaffee. Ein anderes Beispiel ist das hierarchische Denken, das wir in der Schweiz immer noch kultivieren. Da stehen die Mediziner über allem anderen. Das ist in der Niederlande anders. Dort begegnen sich zum Beispiel eine Ärztin, ein Pflegefachmann und ein IT-Spezialist auf Augenhöhe.
Haben diese kulturellen Eigenschaften auch Auswirkungen in anderen Bereichen?
Ja, etwa in der Zusammenarbeit zwischen der Industrie und den Institutionen wie Spitälern oder Pflegeeinrichtungen. Dort gibt es eine offene, enge Kooperation. Zum Beispiel entsenden Firmen ihr Personal an die Spitäler, dass die Fachleute an ihren Geräten ausbildet und ihre Pflegeprozesse optimiert. Das ist gelebte IPZ. Bei uns hingegen erscheint alles viel mehr fragmentiert.
Was wünschen Sie sich für das Schweizer Gesundheitssystem?
In den weichen Bereichen: Es sollte mehr am Menschen und seinen Bedürfnissen orientiert sein. Und nicht wie eine reine Industrie die messbaren Resultate in den Vordergrund stellen. Mehr Qualität als Quantität, weniger technokratisch und mehr Zeit für den Menschen, das würde uns allen guttun.
Und technisch, in den „harten“ Bereichen?
Die Digitalisierung muss vorankommen. Beispiele: das elektronische Patienten Dossier (ePD) als eine Art Dropbox für die Gesundheitsdaten des Patienten, das E-Rezept statt der Zettel. Oder das einfache digitale Buchen von Terminen, anstatt noch umständlich via Telefon in der Praxis anfragen. Die moderne Welt ist heute verlinkt und das Gesundheitswesen muss auch mehr verlinkt werden. Dazu müssen beide Seiten offener werden, das System und die Nutzer.
Welche Eindrücke auf der Metaebene haben Sie in der Niederlande gewonnen?
Ich sage es einmal etwas provokant: Der Status Quo bei uns ist komfortabel. Vielleicht glaubt die reiche, profitorientierte Schweiz, sie müsse sich nicht schnell verändern. Die Menschen hier sind introvertierter als die Niederländer. Dort spürt man Pioniergeist, bei uns nicht. Das macht den Wandel zähflüssiger. Wir sollten beweglicher und dynamischer werden.
Herr Nguyen, wir danken Ihnen für das Interview.